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#34C3: Bericht vom „Hacker-Kongress“

Der Himmel über dem Kids-Space
Der Himmel über dem Kids-Space

Seit einigen Jahren besuche ich zwischen Weihnachten und Silvester den Chaos Communication Congress. Auch dieses Jahr. Und das bedeutet mal wieder: Information-Overflow. Auf dem Congress sprach „Steini“ von einer „Druckbetankung“ weil er für seinen Talk nur 30 Minuten Zeit hatte.
Druckbetankung beschreibt auch den ganzen Congress ziemlich gut.

tl;dr

Wie immer war der Congress bunt und schön und spannend, anstrengend, interessant und sicherlich noch sehr vieles mehr. Es gab so viel zu entdecken, zu bestaunen und zu lernen, dass vermutlich jeder Besucher einen völlig anderen Congress erlebt hat. In einem Punkt sind sich aber vermutlich alle Besucher einig: Es war alles viel zu schnell vorbei!

Tetris-Laermampel-Buzzer-Automat
Tetris-Laermampel-Buzzer-Automat

Für mich hatte der Congress dieses Jahr zwei Schwerpunkte: zum einen Digitalisierung, Bildung und Schule und zum anderen mein Bastelprojek: ein Tetris-Lärmampel-Buzzer-Automat.
Im Vorfeld des Congress kam die Frage auf, wie wir reagieren, wenn sich doch mal jemand daneben benimmt? Es genügt im Zweifel ja ein Einziger, um die ganze Stimmung zu trüben. Das Böse liegt schließlich in den großen Zahlen. Und der Congress ist groß. Beinahe sogar sehr groß.

All Creatures Welcome & Be excellent to each other!

Die Atmosphäre auf dem Congress habe ich bisher immer als wundervoll und einzigartig wahrgenommen. Symptomatisch für die Atmosphäre: Leute lassen ihre teils wertvolle Hardware einfach stehen wenn sie unterwegs sind. Geht häufig auch kaum anders, mach ich auch so. Und dabei hatte ich auch nie ein schlechtes Gefühl. Auf dem Congress kommt eigentlich nichts weg. Und wer ein Werkzeug, ein Kabel oder allgemein Hilfe benötigt, fragt einfach irgendwen. Hilfe gibt es eigentlich immer, meistens total kompetent und häufig noch ein tolles Gespräch dazu! Sei also willkommen, nimm Dir einen Keks und mach Dir eine schöne Zeit!

Leider hatte ich dieses mal trotzdem auch ein komisches Gefühl. Es gab nämlich eine Debatte über einen(?) Gewaltvorfall — wenn ich das richtig mitbekommen habe — auf dem vergangenen Congress.

Ich wurde in meinem ganzen Leben noch nie ernsthaft belästigt. Daher habe ich ein wenig Schwierigkeiten, die Debatte wirklich zu verstehen. Daher habe ich auf dem Congress einige Leute gefragt, wie sie die Situation sehen und auch, ob sie Leute kennen, die bereits Opfer von Gewalt oder Belästigung geworden sind. Kennen manche. Meistens sind die Opfer keine heterosexuelle, weißen Männer. Und für heterosexuelle, weiße Männer ist es wohl auch ziemlich absurd oder kaum vorstellbar, ernsthaft belästigt zu werden, weil — und das vermute ich — es für sie auch ziemlich schwer vorstellbar ist andere Menschen ernsthaft zu belästigen. Und da steckt der Kern des Problems. Was ist denn eine ernsthafte Belästigung? Und ist eine scherzhafte Belästigung weniger schlimm? Gibt es die überhaupt?

Ein Beispiel, zur Frage, ab wann etwas eine Belästigung ist, das ich in einem meiner Gespräche gehört habe: Für die meisten Menschen ist jemand, der vor Freude alle Leute umarmt — die Einhaltung der 6-2-1-Rule vorausgesetzt — vielleicht ein bisschen komisch aber vermutlich OK. Aber wie sieht es aus, wenn er z.B. an einen Autisten gerät? Nicht mehr unbedingt völlig OK, oder? Und wo ist da die Grenze zu ziehen? Schwierig, nicht?
Noch schwieriger wird es, wenn wir jetzt auch noch die Sicht der Männer berücksichtigen. Ich werde doch wohl noch mal flirten dürfen!?
Definitiv. Ist doch für alle beteiligten auch schön. Aber dabei muss man halt bestimmte Grenzen respektieren. Welches diese bestimmten Grenzen sind, darüber haben wir aber noch nie gesprochen! Und wie man mit der Verletzung dieser Grenzen umgeht auch nicht. Das sollten wir aber.

Bei 15.000 Menschen zieht jeder diese Grenze vermutlich anders und so wird die eine oder andere Grenze bestimmt zumindest unbeabsichtigt überschritten. Aber ab wann wir eine solche Grenzverletzung sanktionieren sollten muss sicherlich jeweils abgewägt werden. Und diese Abwägung unterliegt ganz ähnlich Überlegungen wie die Videoüberwachung am Berliner Hauptbahnhof über die Peter Schaar in seinem Talk berichtete. Will mann alle false negativ Fehler vermeiden, dann gäbe es vielleicht alle 3 Minuten einen Belästigungs-Vorwurf wobei sich die meisten wohl als falsch, unbegründet oder übertrieben herausstellen würden. Aber selbst ein unbegründeter Vorwurf lässt manchmal einen üblen Nachgeschmack zurück. Will mann dagegen alle alle false positive Fehler vermeiden, würde man wohl auch die Person nicht herausfiltern, die ihre Mitmenschen einfach mal so würgt oder verprügelt — zumindest solange nicht genug Zeugen zuschauen. Die Frage, was OK für uns ist — muss also abgewogen werden weil beide Fehlerarten schlimm sind. Wie wir bei eindeutigen Grenzüberschreitungen oder auch bei nur möglicherweise berechtigten Vorwürfen vorgehen wollen haben wir nicht besprochen. Das sollten wir aber.

Der Congress wächst immer weiter und das Böse liegt nun mal in den großen Zahlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein richtiges Arschloch anwesend ist steigt nun mal mit wachsenden Besucherzahlen. Wenn wir unsere Gemeinschaft und die besondere Atmosphäre auf dem Congress schützen wollen, dann sollten wir darauf vorbereitet sein, dass sich Leute daneben benehmen. Und wir sollten besprechen, wie wir damit umgehen wollen. Dazu hat sich der Club auch schon einige Gedanken gemacht und einen Code of Conduct – also eine Art Verhaltenskodex verfasst. Auf dem Congress gab es außerdem auch wieder(?) ein Awareness-Team, das Hilfe und Vorsorge bei Konflikten aller Art anbot. Vielleicht genügt das aber noch nicht. Denn jeder der sich excellent benimmt sollte den Congress auch wirklich entspannt genießen können!

Digitale Mündigkeit

Diskussionen an drei Ecken
Diskussionen an drei Ecken müssen getrennt voneinander geführt werden

Im Talk Bildung auf dem Weg ins Neuland sind mir die 3 Dimensionen der Neuland-in-Schulen-Debatte bewusst geworden. Es geht einerseits um die Bereitstellung der Infrastruktur, andererseits um Bildung mit digitalen Tools und schließlich um Bildung zu digitalen Themen also digitale Mündigkeit. Dazu kommt meiner Meinung nach noch die Frage nach den Fähigkeiten, mit digitalen Tool umzugehen – und zwar an allen Seiten der Schultische.

Ich will hier keine dieser Ecken aufreißen — aber ein großes Problem ist, dass immer wieder darüber geredet wird, dass Schüler „fitter im Umgang mit digitalen Medien“ werden sollten. Aber der eigentliche Punkt — die digitale Mündigkeit — wird dabei viel zu oft übersehen.

Ein weiterer Punkt ist, dass bei Diskussion über Investitionen viel zu viele Leute nur von technischer Infrastruktur sprechen. Die ist wichtig, ja! Und auch da hinken wir auf kriminelle Weise anderen Ländern hinterher. Trotzdem geht es auch um die Ausbildung der Menschen. Wir haben einfach viel zu wenig Informatik-LehrerInnen. Unser Ansatz zu sagen „ja, dann brauchen wir dieses Internet ja vielleicht auch gar nicht so dringend“ führt in eine Sackgasse! Zum Glück gibt es mittlerweile viele tolle Initiativen die versuchen, diese Löcher zu stopfen — dabei sollte es Aufgabe der Politik sein, dieses Problem schnell(!) und flächendeckend(!) zu lösen. Dorina Gumm (@memomizer auf Twitter) hat es in ihrem Talk schön formuliert: „Liebe, liebe Politik, schmeißt Geld auf die Bildung!“

kurz über mein eigenes Projekt

Ein schlecht geknipster CalliopeMini
Ein schlecht geknipster CalliopeMini

Ab dem kommenden Schuljahr möchte ich, an meiner Schule einen Informatik-Kurs anbieten und habe mich daher in den letzten Monaten damit auseinander gesetzt, ein schulinternes Curriculum zu entwerfen. Dabei bin ich mit spannende Ideen losgezogen, vor allem aus dem Bereich digitale Mündigkeit. Dann habe ich aber den Fehler gemacht, den Rahmenplan für Informatik an Stadtteilschulen in Hamburg durchzuarbeiten — als ich damit fertig war, war von meinen Ideen nur noch wenig übrig. Stattdessen hatte ich einen Lehrgang für die Bedienung verschiedener Standard-Anwendungen zusammengeschrieben. Ich muss das wohl noch mal ganz von vorne machen.

Weil ich den Plan habe hatte, mit meinen Schülern am Raspberry in python zu programmieren, schreibe ich mein Projekt auch auf dem Raspberry Pi. Das ist allerdings mit einer ganz schön steilen Lernkurve verbunden — auch für die SchülerInnen. Daniel von Chaos Macht Schule Mecklenburg-Vorpommern hatte glücklicherweise einen Klassensatz von diesen neuen CalliopeMini-Platinen dabei und war davon tatsächlich ganz schön begeistert. Weil ich mich mit ihm ein wenig über diese Dinger unterhalten konnte und er viele meiner Befürchtungen entkräften oder abmildern konnte, habe ich mich jetzt auch für den CalliopeMini entschieden. Meinen Tetris-Lärmampel-Buzzer-Automaten werde ich trotzdem weiterhin auf dem Raspberry entwickeln.

Hackerspaces für Jugendliche

Fast jeder auf dem Congress bastelt oder arbeitet an irgendeinem coolen Projekt. Oder zumindest einige. Wenn man einmal verstanden hat, dass das alles gar nicht sooo schwer oder mit einigem Willen zumindest lernbar ist, dann fragt man sich, warum das nicht schon viel mehr Leute machen. Ich finde es mittlerweile schon fast normal, immer irgendein Projekt im Keller zu haben, an dem ich halt gerade bastele.
Neulich hatte ich daher im Gespräch einem Schüler empfohlen, er solle doch mal losziehen und sich verschiedene „Hackerspaces“ anschauen damit er dort anfangen könne zu basteln. Ich glaube, dass das total sein Ding ist. Ich würde ihm mal eine Hand voll solcher Hackerspaces raussuchen, damit er sich einen Hackspace in seinem Stadtteil aussuchen könnte.

Was für eine Blamage!

In ganz Hamburg habe ich tatsächlich nur vereinzelte Angebote speziell für Jugendliche gefunden. Hier eine Übersicht von der ich hoffe, dass sie nicht vollständig ist.

  • Die Hamburg Coding School die Ihre Kurse, die sich nicht nur an Kinder und Jugendliche richten, am MLOVE Future City Campus nahe der Hafen-City-Universität anbieten
  • Ein regelmäßig stattfindendes Coder Dojo in der Bücherhalle Barmbek das vom Start Coding e.V. angeboten wird
  • Das Schülerforschungszentrum Hamburg an der Grindelallee nahe der Uni, das eher den ganzen MINT-Bereich abdecken will sich aber speziell an Kinder und Jugendliche richtet
  • Der Junghackertag organisiert und in den Räumen vom Chaos Computerclub Hamburg.

Das hat mich ehrlich gesagt total überrascht entsetzt. Vielleicht bin ich aber einfach ein bisschen zu nerdig in meinen Vorstellungen? Oder aber alle anderen denken einfach noch nicht nerdig genug! Deswegen träume ich davon, an meiner Schule einen Informatikraum zu einem Hackerspace für Kinder und Jugendliche auszubauen. Auf dem Congress habe ich mit vielen Leuten darüber gesprochen und — wenn ich das richtig verstanden habe — von allen Seiten Zuspruch, Interesse und Unterstützungsangebote erhalten. Ich mache das jetzt einfach!

Mein Dank…

… gebührt allen Freiwilligen die diesen Congress möglich gemacht haben. Es hat sich wirklich gelohnt! Außerdem danke ich ganz herzlich Tom, über den ich überhaupt ein Ticket ergattern konnte!
Die neue Location in Leipzig hat mich übrigens überzeugt. Die Vortrags-Hallen waren groß genug, dass kaum ein Talk die Türen schließen musste und bieten wie das ganze Messegelände auch noch Raum zum Wachsen. Manchmal kam mir die Messe nämlich tatsächlich ganz schön leer vor – auch wenn sie das objektiv natürlich gar nicht war. Das einzige Manko an diesem Congress waren wohl die Messe-Leute, die teilweise noch ganz schön spießig unterwegs waren. Aber die werden sich bestimmt noch an uns gewöhnen.
Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon wahnsinnig auf den 35c3!
Geben wir unser Bestes, damit der auch wieder eine vortreffliche Veranstaltung für alle wird.
All Creatures Welcome and be excellent to each other!

Media

Hier noch einige Eindrücke und eine noch unvollständige Liste von Talks die ich interessant fand oder noch sehen möchte, (teilweise Wiederholungen aus dem Artikel).

Veröffentlicht in Allgemeines Ansichtssache Bildung Nerd Schule

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